Forschungsgeschichte der "Villa Haselburg"


Siedlungen aus der Zeit vor der römischen Besetzung sind aus der Gegend um die Haselburg nicht bekannt, aber es müssen in den benachbarten Tälern jungsteinzeitliche und keltische Menschen gelebt haben, da im Haselburggelände ein schnurkeramisches Skelettgrab und mehrere eisenzeitliche Bestattungen gefunden worden sind. Eine der letzteren war ein Hügelgrab, das von den Römern abgebaut wurde, bevor sie direkt daneben das Jupiterheiligtum errichteten. Die Höhe war also bekannt und könnte für die Römer wegen des Vorkommens von Ton, Kalk und Glimmer interessant gewesen sein. Es könnte dort im frühen 2. Jhdt. ein Gebäude zu wirtschaftlichen Zwecken errichtet worden sein, dem dann ein repräsentatives Herrenhaus mit Bad, Portikus und Jupiterheiligtum folgte. Welchen Hauptzweck die Villa hatte, ob nur Wohnsitz, Landwirtschaft auf kargem Boden oder etwa Verwaltung und Repräsentation, bleibt offen.
Nachdem die Anlage wegen der Bedrohungen durch die andrängenden Germanen im 3.Jhdt. von den römischen Bewohnern verlassen wurde und verfallen war, gerieten ihre Existenz und ihre Bedeutung in Vergessenheit. Bisher gibt es keine Anzeichen für eine spätere Nutzung der Anlage außer einer solchen als Fundstätte von Mauersteinen und Ziegelmaterial bei der Besiedlung ab dem hohen Mittelalter; sie ist aber bis ins 19. Jhdt. sichtbar gewesen. Es ist nicht zu sagen, wie lange der Name „Haselburg“ schon gebräuchlich ist, frühestens aber nach dem Bau von Burgen. Vereinzelt trifft man noch auf eine ältere Schreibweise „Hasselburg“, die sich zum Beispiel in älteren Katasterplänen erhalten hat. Schriftliche Aufzeichnungen über die Anlage entstanden erst durch das Interesse des Grafen Franz I. zu Erbach-Erbach (1754-1823), der seinen gräflichen Regierungsrat J.F. Knapp mit der Untersuchung des „Kastells“ beauftragte.
Zwar sind Knapps archäologische Befunde aufgrund seiner Voraussetzungen (da er vermutete, ein Kastell entdeckt zu haben) nicht sehr aussagefähig, seine Beschreibung der Anlage vermittelt aber einen guten Zustandsbericht der Anlage zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
"Das zweite Kastell an dem Mümlingthal ist keinem Zweifel ausgesetzt. Es liegt zwischen Hummetrodt und Ober-Kinzig auf einer Höhe, wo man den Breuberg und den angrenzenden Theil des Mümlingthales übersieht. Von allen hier beschriebenen Kastellen im Odenwalde ist es das grösste, denn seine Länge von Süden nach Norden beträgt 285, und die Breite 252 Schritte. Der Wall ist jetzt noch 3 bis 4 Schuh hoch, und an drei Flanken ganz mit Haselstauden bewachsen, weshalb die Bauern das Kastell die Hasselburg nennen.“
Die beschriebene Höhe der Mauerruine ist insofern bemerkenswert, als diese seit langem „verschwunden“ ist - ein Hinweis auf den Steinbedarf der Bewohner der umliegenden Dörfer. Der damals im Großherzogtum Hessen-Darmstadt übliche Fuß bzw. Schuh lag bei 25 cm, der preußische Fuß betrug 31,385 cm, der bayrische 29 cm. Wir können also davon ausgehen, dass Knapp die Hofmauer noch im mindestens 0,75 cm hohen Schuttwall vorfand. Es ist möglich, dass dieser talwärts, also an der südöstlichen Mauer damals schon nicht mehr zu erkennen war.
Dem aufmerksamen Leser fällt die sehr einfache Art der Untersuchung ins Auge. Tatsächlich besitzt die Haselburg eine annähernd quadratische Hoffläche von 183,5 x 185,5 m. Der Unterschied zu Knapps Größenangabe erklärt sich dadurch, dass er die Anlage von Süden nach Norden „abschritt“ und deshalb wohl bergauf einige Schritte mehr benötigte. Die von Knapp angesprochene Variante „Hasselburg“ könnte auf Odenwälder Mundart zurückgehen.
"An der nördlichen Seite durchschneidet gegenwärtig die Landstrasse den Wall zweimal, und man sieht an den Einschnitten, dass wenigstens sein Fundament von rohen Bruchsteinen aufgemauert, und ohngefähr 12 Schuh breit war. Die Ecken des Kastells waren nicht abgerundet, es hatte auch keinen Graben, und die Stelle der Thore konnte ich ebenfalls nicht auffinden, weil der Wall zu sehr verwachsen und zerstört ist. In dem Innern, und zwar an der Nordseite, liegen die Ruinen zweier römischer Bäder und noch zwei andere Erhöhungen der Erde lassen vermuthen, es möchten noch mehrere Gebäude darin gestanden haben.“
Während über die Identität der zwei Bäder kaum Zweifel bestehen dürften, kann man über die zwei weiteren Erhöhungen nur mutmaßen: Eine davon könnte eine Hangkante quer zur westlichen Hofmauer betreffen. (Unweit östlich davon hat Michael Müller 2005 mit Studenten Mauerstücke durch Grabung aufgefunden.) Die zweite bezieht sich entweder auf das Gebäude in der Südecke oder weitere, nicht mehr zu identifizierende Gebäudereste.
"In dem grossen Kastelle zwischen Ober-Kinzig und Hummetrod liegen endlich noch zwei Bäder. Das Merkwürdige an ihnen ist, dass sie innerhalb des Walles nahe beisammen liegen. Sie waren vielleicht auch auf eine jetzt nicht mehr zu bemerkende Art mit einander verbunden, und machten nur ein Gebäude aus. Der Mangel an Sandsteinen in jener Gegend hat die Bauern verleitet, fast alle Grundmauern auszubrechen, wesshalb man auch davon keinen Grundriss mehr machen konnte, und bei der Untersuchung, mit der Gewissheit, dass es Bäder waren, sich begnügen musste.“  
Hier spricht Knapp vermutlich vom Herrenhaus. Die Rede von den zwei Bädern rührt wahrscheinlich von den zwei Hypokaustanlagen im Bad und im Hauptgebäude her. Die Lagebeschreibung passt auf den peristylartigen Anbau zwischen beiden Gebäuden. Irritierend ist allerdings die Bemerkung Knapps, dass die Bauern wegen des Sandsteinmangels die Grundmauern fast alle ausgebrochen hätten, denn diese sind im Hauptgebäude noch vorhanden und bestehen wie überall aus Granitsteinen.
„Ausser einem Pfeile fand sich in dem Schutte nichts, das eine besondere Erwähnung verdiente.“ Das ist verwunderlich, weil gerade im Hauptgebäude Keramik und farbiger Wandverputz gefunden wurden; siehe auch später Gieß. „So viel konnte man noch bemerken, dass von vier Zimmern, jedes einen Fuss tiefer lag, als das andere; vielleicht um das Wasser aus einer nahe dabei befindlichen Quelle desto leichter von einem Gemach in das andere leiten zu können.“ Auch das ist ohne nachgewiesene Wasserleitung unverständlich; man könnte meinen, Knapp spräche von einem anderen Gebäude.
1839 fand man in der Hypokaustanlage des Hauptgebäudes die Ritzinschrift auf einem Deckziegel. Knapp veröffentlichte diesen Fund 1841. Er befindet sich heute im Hessischen Landesmuseum Darmstadt http://www.hlmd.de/w3.php?nodeId=501.

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Flurkarte
Flurkarte mit dem Parzellenbròuillon der Gemarkung Hummetroth von 1856/57, bearbeitet durch den Geometer I.Klasse Dieter (Gemeindearchiv Höchst i. Odw.)

Nach ihrer Entdeckung und Knapps Untersuchung fand die Haselburg schnell Eingang in die aufkommende Starkenburger Heimat- und Geschichtsforschung. In folgenden Publikationen wurde sie erwähnt:
1829 „Statistische-topographische-historische Beschreibung des Großherzogtums Hessen, Bd. I. Provinz Starkenburg“ von G.W.J. Wagner
1854 „Das Großherzogtum Hessen nach Geschichte, Land, Volk, Staat und Örtlichkeit“ von Ph.A.F. Walther
1862 „Die Wüstungen im Großherzogtum Hessen, Provinz Starkenburg“ von G.W.J. Wagner
1869 „Die Altertümer der heidnischen Vorzeit innerhalb des Großherzogtums Hessen, nach Ursprung, Gattung und Örtlichkeit“ von Ph.A.F. Walter.
1870 „Über die Spuren römischer Niederlassungen in der Provinz Starkenburg, ihre Bedeutung und ihren Zusammenhang“ von W. Franck.
Der letztgenannten Veröffentlichung entnehmen wir erstmals die Feststellung, es könne sich nicht um ein Kastell handeln, da die Haselburg „weder Spuren eines Grabens, noch die abgestumpften Castellecken erkennen läßt, dagegen aber im Innern Heizungsanstallten besitzt.“
Wirklich neue Erkenntnisse aus der Bodenforschung sind diesen Publikationen kaum zu entnehmen. Erst 1880, 1882, und 1886 führte der Bezirksfeldwebel Heinrich Gieß im Auftrag des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine Grabungen im Haselburggelände und an den Umfassungsmauern durch. Über die Ergebnisse seiner Untersuchungen berichtete er in den "Quartalsblättern des Historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen" 1880 und 1882; über die Grabungen 1882 und 1886 gibt es handschriftliche Berichte von Gieß.
In dem Bericht von 1982 machte Gieß genauere Angaben über die Lage der von ihm entdeckten Räume. „An einer dieser Stellen fand ich … durch eine 50 cm dicke Zwischenmauer geschieden in einer Tiefe von 75 cm zwei guterhaltene Estrichböden und auf denselben eine große Masse verschiedener Ziegel, Gefäßscherben, Bruchstücke von Glasscheiben und Glasgefäßen, farbige Wandflächen sowie die bereits an die Vereinssammlung abgelieferten Eisenfunde. Auf einem an diese Fundstätte angrenzenden Acker wurde auch die letzte Ausgrabung vorgenommen. 28 Mtr. von dem genannten, auf der Ostseite nach Ober-Kinzig führenden Weg, ziemlich genau in der Mitte zwischen der südlichen und nördlichen Umwallung, nur 15 cm unter der Oberfläche, kam eine aus Sandstein bestehende 50 cm breite Mauer mit einem 6 bis 9 cm vorspringenden Sockel zum Vorschein. Dieselbe konnte in nördlicher Richtung in einer Länge von 8 Mtr. bis auf die anstoßende, nach Westen ziehende Quermauer verfolgt werden.  … wurde auf dem leeren Acker ein zweiter Einschnitt gemacht, wobei man in ebenso geringer Tiefe alsbald auf eine mit der ersteren parallel laufende Mauer stieß, welche aber schon auf 5 Mtr. Länge durch eine 45 cm dicke Quermauer ihren Abschluß fand.“
Die erstgenannte Fundstätte kann im nördlichen Bereich des Bades oder im westlichen Bereich des Hauptgebäudes gelegen haben. Die letztgenannten Mauern können nur zu den beiden östlichen Räumen des Hauptgebäudes gehören. Auch hier fanden sich Stücke farbiger Wandflächen, Glasscherben und feine Gefäßscherben.                      
Gieß sprach in dem Bericht von 1882 noch vom Castell, im Bericht von 1886 vom Kastell in Anführungszeichen. Konsequenterweise setzte Gieß dieses allmähliche Ab weichen von der Kastelltheorie fort: In seinem 1893 (nach Ende der Grabungen) erschienen Werk "Schloss Breuberg im Odenwald und die germanischen und römischen Denkmäler in seiner Umgebung" begann Gieß die Beschreibung der Haselburg folgendermaßen: "Die Haselburg [...] ist die grösste der bürgerlichen Niederlassungen, die man bis jetzt im Odenwalde kennt. Sie ist schon über ein halbes Jahrhundert beliebtes Objekt der Forscher und wurde bis zum Jahr 1886 für ein grosses Kastell angesehen."
Gieß wusste, wovon er sprach. Seine Grabungen <von 1986> galten in erster Linie der Umfassungsmauer und einigen daran anschließenden Befunden, so u.a. das Nebengebäude in der Südecke des Hofes. Er stellte fest, dass die Ostecke kein Fundament besaß, fand Anzeichen für das Tor in der NW-Mauer und vermutete ein gegenüberliegendes Tor „ am tiefsten Punkt des ummauerten Terrains“ in der SO-Mauer. Diese Stelle ist noch nicht untersucht worden.

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Zwei Seiten des Originalgrabungsberichts von 1886

Nach Heinrich Gieß endete die Erforschung der Haselburg mittels planmäßiger Grabungen für fast 100 Jahre. Obwohl in der folgenden Zeit viele bekannte Archäologen wie Friedrich Kofler, Eduard Anthes, Fritz Behn und der Heimatorscher Friedrich Mössinger die Anlage erwähnten, beschränkten sie sich meist darauf, den Forschungsstand nach den Grabungen von H. Gieß wiederzugeben. Im „Jahresbericht der Denkmalpflege … 1912“ wird erwähnt, dass bei der Verlegung einer Wasserleitung nach Forstel  „die bereits früher festgestellten Gebäude im nordöstlichen Teil der Anlage angeschnitten und eingemessen wurden. Bemerkenswerte Aufschlüsse und Funde ergaben sich dabei nicht.“ Zweimal (1967 und 1973) erscheint die Haselburg in den "Fundberichten aus Hessen", einmal anlässlich eines Amphorenfundes, zum zweiten, als anlässlich eines Gasleitungsbaus die NO-Außenmauer der Anlage “schwach“ geschnitten wurde.
Seit 1886 hatten die Veröffentlichungen keine weiteren Erkenntnisse gebracht außer mehreren Hinweisen auf die Notwendigkeit, systematische Grabungen durchzuführen, besonders keine Erkenntnisse über die genaue Lage der schon aufgedeckt gewesenen und wieder zugeschütteten Räume. So war es möglich, dass das als solches unbekannte Herrenhaus der Villa erst beim Bau der Ferngasleitung MEGAL I 1979 zu Tage kam, als der Boden für den großen Graben abgeschoben wurde und sich die Grundmauern des Gebäudes zeigten.
Der damalige Leiter der Außenstelle Darmstadt des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen, Dr. Reinhard Andrae, erreichte, dass der Graben nicht ausgehoben wurde, sondern ein Schutzrohr zur Aufnahme der Gasleitungen unter dem Gebäude hindurchgepresst wurde. Es ist das Verdienst Dr. Andraes, dass die Substanz des Herrenhauses ganz erhalten blieb und damit auch die Rechtfertigung für das Freilegen und Präsentieren der gesamten Anlage. Unter seiner Leitung wurden in den Jahren bis 1984 das Wohngebäude, das Bad, die Portikus, der angrenzende Hofbereich mit einem Keller und ein Stück der Umfassungsmauer ausgegraben und so weit wie nötig aufgemauert.  
1985 und 1986 legte das Landesamt für Denkmalpflege in einer großen Flächengrabung einen breiten Streifen um die Anlage herum frei, weil eine zweite Ferngasleitung MEGAL II durch das Gelände führen sollte. Dabei wurden Grundmauern der Umfassungsmauer, ihrer Westecke, eines Tores, eines Anbaus an die Mauer und vor allem eines Heiligtums mit dem Fundament für die Jupitergigantensäule ausgegraben. 1993 deckte das Landesamt die drei restlichen Ecken der Umfassungsmauer auf, die wie die vorgenannten Mauerabschnitte unter Beteiligung des Haselburgvereins durch Aufmauerung sichtbar gemacht wurden.

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Abb. 3.: Die Haselburg während der Ausgrabungen 1985. Oben die bereits restaurierten Grundmauern des Hauptgebäudes, des Bade- und Wirtschaftstrakts sowie ein Teil der Umfassungsmauer. In der Grabungsfläche befinden sich die Fundamente des Jupiterheiligtums, im Kreuzschnitt links davon die Fundstelle der Säulentrommel. Luftaufnahme von Nordwesten, Foto O. Braasch. Aus F.-R. Herrmann, Die villa rustica „Haselburg“ bei Hummetroth. Archäologische Denkmäler in Hessen 55² (Wiesbaden 2001).


Ende 1983 wurde der "Verein zur Förderung des Freilichtmuseums "Römische Villa Haselburg" e.V. (Haselburgverein e.V.)" gegründet, der sich für die Erforschung, Erhaltung und Erweiterung der Anlage einsetzt, die Villa der Öffentlichkeit bekannt macht und über sie informiert. Er bemüht sich, Antworten auf die Fragen zu finden, die diese Anlage stellt, über die es keine literarischen Zeugnisse aus ihrer frühen Geschichte gibt. Das Haselburggelände steht inzwischen unter Denkmalschutz; damit sind unerwünschte Eingriffe in die Substanz des Bodendenkmals nicht mehr möglich. Das Gelände wurde von der Gemeinde Höchst erworben, die dafür und für den Ausbau der Anlage erhebliche Mittel aufgewendet hat und noch aufwendet. Finanzielle Unterstützung gewährt auch der Odenwaldkreis über die frühere Limesarbeitsgemeinschaft im Förderverein Museumsstraße Bergstraße-Odenwald. Die Aufwendungen des Haselburgvereins für Erhaltung und Pflege der Anlage werden aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden der vielen Besucher gedeckt.